Ich bin in Wien oder ich will nach Wien.

Es gibt Orte, in die man sich sofort verliebt. An denen man ankommt und sich sofort zu Hause fühlt ohne sagen zu können, woran es genau liegt (Amsterdam, ich schaue in deine Richtung).

Und es gibt Orte, bei denen man auf Anhieb merkt, dass man ums Verrecken dort nicht länger sein möchte als notwendig (sorry, Berlin…).

Und dann gibt es diese Orte, die sich ganz langsam ins Herz schleichen, die ihre Zeit brauchen und sie sich auch selbstbewusst nehmen. Orte, die sich beim ersten Besuch nicht ganz erschließen, die sich spröde anfühlen. Die irgendwo klemmen bleiben wie ein kantiger Klotz, der durch eine runde Öffnung geschoben werden soll. Wien war so ein Klotz.

Denn obwohl ich mehrere Jahre mein Büro mit einer echten Wienerin geteilt habe (und dank ihr mit dem Wiener Schmäh gut vertraut war), war ich bei meinem ersten Besuch dort, ohne sagen zu können wieso, alles andere als komplett begeistert. Doch ohne dass ich es merkte, schlich sich Wien in mein Herz und ließ mich nie wieder richtig los. Ich fuhr halt wieder hin. Und wieder.

Wien

Ich bin in Wien oder ich will nach Wien.

Heute ist Wien einer meiner Herzensorte. Ich liebe diese Stadt. Und ich liebe die Art, wie ich mich in sie verliebt habe: Leise, langsam, zögerlich, gegen alle Umstände, gegen meinen Willen. Wenn ich wie jetzt in Hamburg bin, ist da dieses sehnsuchtsvolle Pieken hinter den Rippen, nicht schmerzhaft aber wehmütig voller schöner Erinnerungen, die wiederholt und um weitere bereichert werden wollen, immer und immer wieder. Es gibt mich also in zwei Versionen: Ich bin in Wien oder ich will nach Wien.

Ende Juni musste ich mir mal wieder Zeit für mich selber nehmen, ganz allein. Mich selber daten. Mir eine Weile einfach mal beim Denken zuhören. Und das mit dem Denken klappt bei mir immer ganz hervorragend, wenn ich mich an einem schönen Ort einfach treiben lassen kann. Also ging es mit dem Nachtzug von Hamburg nach Wien.

Im Schlaf von Hamburg nach Wien

Da ich nur noch fliegen will, wenn es sich nicht vermeiden lässt und ich das Gefühl des Unterwegsseins auch sehr mag, fahre ich gern Bahn. Die Deutsche Bahn bietet bisher keinerlei Nachtzugverbindungen nach Wien an. Wer also wie ich im Schlaf (oder das, was davon übrig bleibt) von Hamburg nach Wien möchte, muss das Spektakel über die Seite der ÖBB buchen. Dann fährt man in der Regel abends um 20:30 ab und kommt mit ein bisschen Glück morgens um halb 10 in Wien am Hauptbahnhof an. Hier liegen Traum und Wirklichkeit aber manchmal weit auseinander – mein Zug stand nämlich morgens um 5 Uhr in Nürnberg außerplanmäßig für knapp zwei Stunden einfach mal auf einem Rangiergleis herum.

Das Reservieren eines Liege- oder Schlafabteils lohnt sich auf jeden Fall. Die waren für meine Reisedaten jedoch schon alle ausgebucht und ich musste mit einem Sitzabteil vorlieb nehmen – was während der Fahrt zum einen zu mehreren orthopädischen Zwischenfällen meinerseits geführt hat. Zum anderen musste ich mir ab Hannover mein 6er-Hogwarts-Express-Abteil mit zwei ziemlich redseligen Quatschnasen aus Linz teilen, die dann auch bis zu ihren Heimatort mitfuhren.

ÖBB Nightjet

Nightjet bei seiner Pause in Nürnberg.

Wiener Nächte

Ich liebe Hotels. Beziehungsweise ich liebe den Komfort und die Privatsphäre, die sie mir bieten und ich buche sie auch, wenn ich in einer Stadt Freunde oder andere Bezugspersonen habe, bei denen ich in der Sofaritze übernachten könnte während am Fußende der Familienhund schnarcht. Ihr seht das Problem.

In Wien ist mein Lieblingshotel seit meiner vorletzten Reise das ArtHotelAna, ein nettes, kleines Boutique-Hotel in einer Seitenstraße der Mariahilfer Straße – zentral gelegen (U3 Zieglergasse), blitzisauber, freundlich, mit solidem Frühstück. I can highly recommend.
Ich war auch mal im Ruby Hotel eine Straßenecke weiter, das ist allerdings nicht ganz günstig, aber wenn man ein paar Cent locker hat auch eine sehr schöne Adresse.

Unterwegs im Untergrund (und darüber)

Erste Amtshandlung in Wien (immer): Am Hauptbahnhof geich mal ein Ticket für die Wiener Linien kaufen. Auch wenn nahezu alle Wiener*innen in den schlimmsten Tönen über ihren ÖPNV herumgranteln: Die Wiener U-Bahn und die Bim (Straßenbahn) sind unschlagbar, wenn man in der Stadt unterwegs ist und ihr Netz und ihre Taktung sind sensationell. Ich hatte bei meinem letzten Besuch sogar nochmal die große Ehre, die letzten Tage der alten E1-Straßenbahnen mitzubekommen und mich auf ihren vernarbten, knarzenden Holzsitzen durch die Stadt schuckeln zu lassen.

Ich habe generell eine Schwäche für U-Bahnen. Und so liebe ich auch die Wiener U-Bahnen. Nicht nur, weil man selten länger als 5 Minuten auf eine wartet und das Netz wirklich eine perfekte Abdeckung der Stadt liefert, sondern auch weil sie beim Einfahren in die Station oft Geräusche mitbringen, als kämen sie aus den tiefsten Untiefen des Wiener Undergrounds herauf. Gefolgt von der passiv-aggressiven Ansage „Steigen Sie nicht mehr ein!“ Die einheitliche Gestaltung und die selbsterklärende Farbcodierung der einzelnen Linien und Haltestellen erfreut dazu mein kleines Designerherz.

Die U-Bahn-Ästhetik der Wiener Linien. Sehr, sehr seggsi!

Vienna, do your magic!

Gleich vorweg: Wem in dieser Stadt langweilig wird, dem kann ich auch echt nicht mehr helfen.

Um die klassische Touri-Nummer zu starten, steigt man am besten bei der U-Bahnstation Stephansplatz aus und ignoriert dort konsequent all diese aufdringlichen Zeitgenossen, die in alte Brokatvorhänge gehüllt Tickets zu Mozart-Konzerten (die es meist gar nicht gibt) verkaufen. Von hier aus kann man eigentlich gar nicht in eine falsche Richtung laufen, wenn etwas von dem herrlich schönen Protz sehen möchte, den diese Stadt zu bieten hat. Wien erschlägt jede*n mit mehreren Jahrhunderten Baukultur. Jeder handelsübliche Stadtführer in Hosentaschengröße hilft hier im Zweifel weiter und beantwortet Fragen zu anderen einschlägig bekannten Vienna-Sights.

Einer meiner liebsten klassischen Touri-Spots in Wien ist die Gloriette im Schlossgarten vom Schloss Schönbrunn. Der Weg nach oben lohnt sich, denn von dort hat man einen fantastisch schönen Blick über Wien, der sich mit keinem Foto einfangen lässt.

Wien

Jahrhundertealte Baukultur, Vienna haz it!

Da Großstadtblut in meinen Adern fließt, weiß ich, dass sich mit hochgejazztem Touri-Firlefanz oft eine Menge Geld verdienen lässt. Aber auch, dass man mit ein bisschen Geduld oft gleichwertige Alternativen oder sogar Geheimtipps findet. Darum gibt es in jeder Stadt – auch in Wien – viele Locations, um die ich lieber einen großen Bogen mache. Das hat den Vorteil, dass ich mich garantiert nicht mit einem Haufen Touristen, die ihren Rucksack vor dem Bauch tragen, stundenlang in eine Schlange stellen werde.

Und wo wir gerade über Kaffee sprechen…

Mein Lieblingskaffeehaus ist das Café Prückel direkt an der Ringstraße im 1. Bezirk. Da Im-Kaffeehaus-Sitzen in Wien ein grundlegendes Menschenrecht ist, kann man hier in den fluffig weichen Polstern nahezu den ganzen Tag unterm Kronleuchter herumlümmeln, Heißgetränke und Kuchen zu sich nehmen und sich amüsiert anschauen, wer hier so ein- und ausgeht. Wenn also mal wieder die Schreibblockade zuschlägt, weil die zündende Idee zu einem schrulligen Romancharakter fehlt, sind ein paar Stunden in einem Kaffeehaus wirklich inspirierend. Auch das Café Ritter an der Mariahilfer Straße (6. Bezirk) ist eine großartige Adresse.

Bei meinem letzten Wien-Besuch bin ich jedoch auch mal im Café Neko gelandet – alles andere als ein typisches Wiener Kaffeehaus, sondern ein Katzencafé – geführt von einer Japanerin, die seit über 30 Jahren in Wien lebt und ihren 5 aus dem Tierschutz gerettenen Katzen. Eine solide Wiener Melange gibt es hier natürlich aber auch – inklusive Schnurr- und Flauscheinheiten!

Wien

Stundenlang im Kaffeehaus herumlungern. In Wien ein Menschenrecht.

Die beste Adresse (in my humble opinion) für richtig, richtig gutes Essen ist jedoch das auf den ersten Blick recht unscheinbar wirkende „Gasthaus Schöne Perle“ im zweiten Bezirk (Leopoldstadt). Ich bin komplett verknallt in diesen Laden und wenn ich in Wien bin ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich abends dort herumlungere ziemlich hoch. Die hausgemachten Falafel sind die besten, die ich jemals gegessen habe und die wöchentlich wechselnden Tagesgerichte sind auch immer sehr fantastisch. Außerdem liebe ich die Gegend dort um den Karmelitermarkt herum (und falls jemand von einer Wohnung da auf der Kante weiß, für die ein stubenreiner Mieter gesucht wird: Ich wäre sofort bereit, alle meine Umzugskartons zu packen.). Für den ausführlichen Verdauungsspaziergang kann man übrigens hervorragend auf der Leopoldsgasse und der Hollandstraße dreimal lang hinfallen – dann ist man auch schon am Donaukanal und am Wasser ist man ja immer richtig.

Burgi is coming home

Ich habe in jeder Stadt, in der ich mich ein bisschen zu Hause fühle einen Fußballverein, zu dem ich halte. In Wien ist es Rapid. Und diese Tatsache macht mir den kürzlichen Burgstaller-Transfer – weg vom FCSP, zurück zu seinem alten Verein – ein wenig erträglicher. Und weil ich sichergehen wollte, dass da in Hütteldorf auch alle lieb zum Burgi sind und er es gut hat, habe ich endlich auch mal eine Stadionführung durch das Weststadion und das Vereinsmuseum mitgemacht. Alles nicht ganz einfach, wenn man am selben Tag erst mit dem Nachtzug angekommen ist und seit über 36 Stunden nicht mehr so richtig geschlafen hat. Da wir jedoch von einem Mitarbeiter/Fan begleitet wurden, der nahezu allwissend in Bezug auf Rapid und den österreichischen Fußball im allgemeinen war, vergingen die zwei hochinteressanten Stunden wie im Flug. Wer sich also ein bisschen für die schöne Kunst des Balltreten interessiert, wird hier wirklich seine Freunde haben.

Auf dem Rückweg sind mir dann aber wirklich in der U4 noch vor der Staion Schönbrunn die Augen zugefallen…

Rapid Wien Weststadion

Burgis neue und alte Heimat und meine Fußballliebe in Wien.

See und Sehenswürdig

Erstaunlich, was man so alles zu sehen bekommt, wenn man sich einfach mal in die U-Bahn setzt und bis zur Endhaltestelle fährt. Zumindest die Linie U2 in Richtung Seestadt enttäuscht da nicht. Zum einen hat man während der Fahrt lange Zeit einen echt schönen Blick auf Teile der Wiener Skyline, zum anderen endet die wilde Fahrt direkt am Asperner See – dort, wo früher mal der größte Flugplatz Österreichs war ist heute nämlich ein künstlich angelegter Badesee, der sich aus Grundwasserströmen speist. Drumherum liegt das riesige Wiener Stadtentwicklungsprojekt Aspern – mit viel Wohnraum, Parkanlagen und Straßen, die fast ausschließlich nach Frauen benannt sind. Sicherlich kann man sich über die Ästhetik der Häuser hier streiten, aber der See ist wirklich eine Wucht und war genau das Richtige an diesem 36 Grad warmen Tag. Leider sind alle Bäumchen auf der drumherumliegenden Wiese noch recht klein und jung, ich musste also ein bisschen nach einem schattigen Platz suchen, in dem ich dann vor mich hin chillen konnte.

Ein bisschen Miami Beach am Wiener Stadtrand. Sonny Crockett hat sich schon die weißen Slipper ausgezogen und die Füße im Wasser.

Auf dem Rückweg machte ich noch einen Abstecher zu dem alten Gasometer in Simmering. Die vier imposanten Türme stammen aus dem Jahr 1896 und wurden um die Jahrtausendwende komplett umgebaut und neuen Bestimmungen zugeführt. Jeder Turm wurde von einem anderen Architekten neu geplant, wobei das Äußere der Gebäuder erhalten blieb. Heute befinden sich im Inneren der miteinander verbundenen Gasometer u.a. ein Einkaufszentrum, Proberäume und Tonstudios sowie Wohnraum. Eine kleine Stadt in der Stadt – und immer noch richtig beeindruckende Gebäude, ich bin eine ganze Weile dort in der Abendsonne herumgestreunt.

Gasometer Wien
Saukerl "Ich lese bis ich verwese"

Der musste es unbedingt sein.

Sterben wirst du leider in Wien…

Ja, Wien ist so ein bisschen morbide. Den Sensenmann nennt man dort liebevoll Quiqui (and I think that’s beautiful). Und seit ich weiß, dass es im Shop des Wiener Bestattungsmuseums ein Sackerl mit der Aufschrift „Ich lese bis ich verwese“ zu kaufen gibt, war ich schlichtweg besessen von dem Gedanken, es zu besitzen. Nun habe ich es bei meinem letzten Wienbesuch also auch endlich mal dorthin geschafft und sowohl ich als auch der Lebenskomplize sind nun im Besitz dieses begehrten Stückes. Meine Mama sagte früher in solchen Situationen immer „Nun hat die liebe Seele endlich Ruh‘!“

Ruhe für viele Seelen – und vor allem bei über 30 Grad ein bisschen kühlenden Schatten – gab es dann danach auch noch auf meinem Spaziergang über den Wiener Zentralfriedhof. Wie in meinen allerbesten, alten Grufti-Tagen bin ich gedankenverloren durch die Grabreihen geschlendert, habe Eichelhäher und Weinbergschnecken gesehen und natürlich auch Falco einen Besuch abgestattet. Bei ihm waren mir zwar zu viele nervige Touristen, aber es war schön zu sehen, dass er immer noch viel Gesellschaft dort hat und nicht vergessen wird.

Für meinen geliebten Augarten war zwar diesmal leider keine Zeit mehr, der ist aber eh im Herbst am allerschönsten. Generell zeigt sich Wien im Herbst immer von seiner wie ich finde schönsten Seite. Obwohl. Nein. Blödsinn. Wien ist immer schön.

Quiqui

In Wien ist der Tod ganz niedlich und heißt Quiqui.

Wiener Zentralfriedhof

Never not reading

Bücher gehen ja bei mir bekanntlich auch immer. Jedesmal, wenn ich in Wien bin, muss ich dem großartigen Buchoutlet BOOX (Ecke Mariahilfer Straße/Millergasse) einen Besuch abstatten. Der ganze Laden ist über zwei Etagen herrlich chaotisch vollgestapelt mit preisreduzierten Mängelexemplaren und Verlagsresten. Sollte ich spurlos in Wien verschwinden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich hier unter einem Bücherstapel begraben wurde und man lieber mit einer Hundestaffel nach mir suchen sollte.

Chaotisch geht es auch im Buchantiquariat Schleifer schräg gegenüber vom Hundertwasserhaus im dritten Bezirk zu. Hätten die Gebrüder Ludolf keinen Schrottplatz sondern eine Buchhandlung würde sie genau so aussehen wie dieser Laden. Ich lieb ihn sehr.

Wenn man es als Bücherwurm lieber geordneter und strukturierter mag, geht man zu Leporello – diese unabhängige Buchhandlung liegt benutzerfreundlich direkt am Touri-Hotspot Stephansplatz, direkt hinter dem Stephansdom.

Buchhandlungen Wien

Ich lieb dich so, mein Wien…

Für Wien muss man sich Zeit nehmen. Wer von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten eilt und sich zeitoptimiert durch die Stadt hastet, wird nicht viel von dem mitbekommen, was Wien ausmacht. Ich liebe es, mich in Wien einfach treiben zu lassen. Geradeaus zu gehen um plötzlich abzubiegen, in eine Bim zu steigen, während der Fahrt aus dem Fenster zu schauen und irgendwo wieder auszusteigen. Stundenlang im Kaffeehaus zu sitzen und Menschen zu beobachten. Unter Bäumen im Schatten zu liegen und einfach die Tatsache zu genießen, in einer der schönsten Städte der Welt zu sein. Und selbst wenn man sicherlich nie alles von dieser Schönheit sehen wird, ist sie ja trotzdem da. Meine Zeit in Wien war auch dieses mal wie immer viel zu kurz. Und jedes mal verlasse ich die Stadt nicht nur mit einem Pieken im Herzen sondern auch mit einer noch längeren Want-to-do-Liste. Wie gut, dass der Nightjet jetzt täglich ab Hamburg fährt. Zum günstigsten Kurs um 39 €. Also. Ihr ahnt alles weitere…

See you soon, Vienna. Amore. Bussi. Ciao.

Wien

Liebe. Nichts als Liebe für diese Stadt.


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