You are not a problem to be fixed

Na fein. Das neue Jahr ist noch nicht mal eine Woche alt und mir wurde bereits in zahlreichen Print- und Onlinemedien gesagt, dass 2021 das Jahr wird, in dem ich mein „Business“ auf ein „neues Level heben“ muss. Mir wurde vorgeschlagen eine Detox-Diät zu machen, mit der sich schon diverse Promisternchen auf Normalnull runtergehungert haben. Und mir wurde empfohlen, mit Hilfe des Intervallfastens die „überflüssigen Pfunde“ wieder schmelzen zu lassen, die sich über die Festtage „angesammelt“ haben.

Really?

Der Januar ist ja generell ein sehr deprimierender Monat. Das hübsche Weihnachts-Bling-Bling wird wieder weggeräumt, die Tanne ist abgenadelt, das Wetter ist meist wenig erbaulich und in diesem Jahr kommt auch noch die Never Ending Corona-Story dazu. Und weil das alles noch nicht reicht, müssen wir uns auch noch jedes Jahr zum Jahresbeginn klarmachen, dass unser bisheriges jämmerliches Leben und unser bis zur Unkenntlichkeit aufgequollender Körper unbedingt einer Verbesserung bedürfen.

Neulich las ich einen Satz, der meine Wut auf all das ziemlich gut zusammenfasst:

„You are not a problem to be fixed!“

Fun Fact: Das Leben als permanente Baustelle zu begreifen, macht uns nicht zu glücklichen Menschen.

Sich Ziele zu setzen, ist eine gute Sache. Aber nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Denn mir scheint es, als ob Ziele immer öfter zu einem Selbstzweck verkommen, denen keine intrinsische – also aus eigenem Antrieb entstandene – Motivation vorausgegangen ist. Vielmehr werden unsere Ziele immer mehr durch den Wunsch motiviert, mit anderen mithalten oder den Vorstellungen anderer genügen zu müssen.

Und es geht bei dieser Herangehensweise ausschließlich um das Erreichen der Ziele. Und nicht um den Weg dorthin. Aber dieser ist mindestens genauso wichtig.

Wenn ich mich mit meiner Hollywood-Intervallfasten-Diät nur herumquäle und meinem Körper mit einer Mangelernährung wichtigen Input vorenthalte, wird auch das Erreichen des Ziels „BMI <18“ mich nicht zu einem glücklichen Menschen machen – selbst wenn die Leute endlich anerkennend nicken, weil ich ja so toll abgenommen habe (…by the Way: Hört auf, andere Körper zu kommentieren!).

Wenn ich in meiner Selbständigkeit nicht in der Lage bin, mich mal zurückzulehnen und liebevoll das zu betrachten, was ich erreicht habe und die damit verbundenen Annehmlichkeiten – und, Überraschung: Diese sind nicht immer monetärer Natur – zu genießen, sondern immer nur an die nächste Sprosse auf meiner Karriereleiter denke und auf das nächste große Ding schiele, dann wird das Ganze schnell zu einem sehr deprimierenden Ritt, der mich früher oder später verbrennen wird.

Wenn ich einen stahlharten Body – ja, genau so wie dieser Dude da auf Insta, der auch in deinem Feed neulich mit glänzend-nacktem Oberkörper Liegestütze auf seinen kleinen Fingern gemacht hat – haben will, aber keine Freude an der Herausforderung habe im Gym zu schwitzen, wird die Mitgliedschaft im Fitnessstudio irgendwann zu einem sehr schlechten Gewissen in meinem Hinterkopf, das mir mit einem permanenten „eigentlich sollte ich ja…“ täglich klar macht, dass ich ja ein kleiner Vollversager bin. Der Dude auf Insta hat das ja immerhin auch hingekriegt mit den Muckis.

Ziele sind leider scheiße, wenn wir sie von anderen definieren lassen. Wenn wir sie setzen, weil äußere Umstände dafür sorgen, dass wir mit unserem Leben und unserem Körper nicht mehr zufrieden sind und das, was wir haben, als nicht ausreichend oder sogar wertlos betrachten.

Unser Wert definiert sich nicht über unsere erreichten Ziele. Das Leben ist keine To-Do-Liste, die es überambitioniert abzuhaken gilt bis man eines Tages in die Grube fährt. Der eigene Körper und das eigene Leben ist keine Baustelle. Nicht alles ist für jeden. Wir sind keine Probleme, die gelöst werden müssen.

Vielleicht ist der ganze Januar gar nicht so deprimierend, wenn wir diesen ganzen Quatsch, der uns all das suggeriert, konsequent wegblocken. Wenn wir uns dagegen ganz im Stillen fragen, was wir selbst so vom Leben wollen. Welche Ambitionen wir wirklich verfolgen möchten – weil sie uns Freude bereiten. Und wenn wir nicht das neue Jahr mit der gedanklichen Last beginnen, etwas Riesengroßes erreichen zu müssen, so wie all die anderen Menschen, um endlich schön, toll und wertvoll zu sein. Denn eigentlich sind wir das alle bereits.


Give credit where credit is due: Falls jemand den*die Künstler*in des Stencils im Beitragsfoto kennt, möge man mir dies gern mitteilen.