Kein Kommentar
Kaum eine Erfindung hat in den letzten Jahren soviel Unheil und Verderben über die Menschheit gebracht wie die Kommentarfunktion. Das betrifft nicht nur Social Media sondern auch die Kommentarspalte auf der Webseite vom Pummelsdorfer Landblatt unter dem Bericht über das letzte fröhliche Sauerkrautwettessen.
Jede Information, die in unsere Köpfe vordringt (und davon gibt es mittlerweile mehr als wir mit unserem noch immer recht archaischem Schädelinhalt wegsortieren können) darf, soll, muss umgehend kommentiert werden. Immer. Von jedem.
Und während Haralds überforderte Synapsen noch gar nicht wissen, wie sie diese Meldung über die Umbenennung einer Paprika-Tütensoße eigentlich verstoffwechseln sollen, haben seine wurstigen Finger auch schon wütend in die Tastatur getippt, dass man ja heutzutage in dieser Merkel-Diktatur gar nichts mehr sagen dürfe und dass man denen, die für sowas verantwortlich sind gefälligst die Eier abschneiden sollte.
Müssen wir wirklich alles kommentieren?
Müssen wir zu jedem komplexen Weltgeschehen unsere an den Haaren herbeigezogenen Vermutungsphantasien und küchenwissenschaftlichen Kleingeistigkeiten in die Welt husten? Mit verbalem Beißreflex losgehen auf jede Nachricht, die unseren Horizont überschreitet? Zu jedem virtuellen Furz, der gelassen wird, eine Tube Senf ausdrücken? Und muss man wirklich aus allem eine Grundsatzdiskussion machen?
Kürzlich wurde mir ein Tweet in die Timeline gespült, in dem jemand ganz überrascht ein veganes Fleischersatzprodukt lobte und schrieb, dass er sich diese Sachen jetzt gerne mal öfter als Tier-Alternative auf den Grill legen werde. Wenig später kamen oberlehrerhafte Bemerkungen zu der Plastikverpackung, zu zweifelhaften Soja-Anbaumethoden und die Belehrungen, dass diese Ersatzprodukte nur aus Fett und schädlichen Zusatzstoffen bestünden und dass eine gegrillte Paprika viel gesünder wäre…
Ja, Annette, aber mit deinem weichgegrillten Wabbel-Gemüse kommste halt gegen einen marinierten Schweinenacken nicht an und ein Grillabend ist halt auch keine ayurvedische Entschlackungskur. Also lass doch diesem Tüp seinen veganen Burger, herrgottnochmal.
Selbst unter niedlichen Katzenvideos finden sich detaillierte Grundsatzdiskussionen, in denen sich einander fremde Menschen virtuell darüber zerfleischen, ob man Katzen mit Trockenfutter füttern sollte oder ob das Tier davon nach wenigen Tagen jämmerlich in seinem eigenen blutigen Urin verendet (Fun Fact: Tut es nicht.)
– Are you coming to bed?
– I can’t. This is important.
– What?
– Someone is wrong on the internet!
Es geht in Kommentarspalten meist nicht um Selbstreflexion, zielführende Diskussionen, um Horizonterweiterung und um Einblicke in die Gedankenwelten anderer Menschen. Es geht zu oft leider nur um gebrüllte Rechthaberei, gefühlte Wahrheiten, Beleidigungen und das Ausleben reflexhafter Verbalaggressionen.
Und die hässlichen Fässer Fake Facts, Hatespeech, (Cyber)-Mobbing und Doxing will ich hier noch nicht mal großartig aufmachen.
Aber vielleicht sollten wir unsere Meinung über manche Dinge auch einfach mal für uns behalten können. Ganz gelassen andere Meinungen akzeptieren. Dinge mal stehen lassen können ohne einen Streit von Zaun zu brechen. Und – wenn wir schon unbedingt kommentieren müssen – vorher einmal ganz tief durchatmen. Uns der Verantwortung bewusst sein, die vielleicht mit dieser Meinungsäußerung einhergeht. Unsere Worte und Formulierungen überdenken. Emotionen runterfahren. Vielleicht würde uns das viele Zankereien ersparen, die sich allzu oft zu verhärtenden Fronten und Grabenkriegen mit einem fragwürdigen Gravitationsfeld weiterentwickeln.
Don’t get me wrong: Ich habe nichts gegen einen reflektierten Meinungsaustausch und ich feiere es sehr, wenn Menschen angesichts von Unstimmigkeiten in dieser Welt den Mund aufmachen und ihre Sicht der Dinge laut und deutlich kundtun. Auch und gerade im Internet.
Aber jede Meldung umgehend, im Affekt und in Echtzeit kommentieren zu können, hat unsere Welt nicht gerade zu einem besseren Ort gemacht.
And that’s the reason why I don’t have a Kommentarspalte auf diesem Blog and I think that’s beautiful.